RND hier Sebastian Hoff, 04.05.2024
Deutschlandweit fehlt Wohnraum - das ist nichts Neues. Verschiedene Ideen und Initiativen können dazu beitragen, die große Nachfrage nach Wohnraum zu befriedigen. Neubau ist dabei allerdings nur selten das Mittel der Wahl.
Um der Wohnungsnot zu begegnen, wird meist auf Neubau gesetzt. Doch einige Expertinnen und Experten sind skeptisch: „Damit allein werden wir die Probleme kaum lösen können“, sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut. Seiner Einschätzung nach könnten bis zu 2,7 Millionen Wohnungen geschaffen werden, indem vor allem vorhandene Mehrfamilienhäuser um einige Etagen aufgestockt werden. Das biete sich oftmals auch auf Supermärkten sowie Büro- und Verwaltungsgebäuden an, so Günther. Davon stehen zudem viele leer und könnten fürs Wohnen umgenutzt werden.
Die Initiative Architects for Future beruft sich auf verschiedene Studien, die sogar ein Potenzial von 4,3 Millionen neue Wohnungen im Bestand erkennen. Allerdings scheiterten Vorhaben, dort Wohnraum zu schaffen, in der Praxis häufig an bauordnungsrechtlichen Vorgaben wie Schall- und Brandschutz und fehlenden Stellplätzen für Autos, sagt Architektin Ulla Basquè. „Es bedarf hier des Willens und der gesetzgeberischen Umsetzung, dies auch tun zu können“, fordert sie deshalb.
Wenig Potenzial im Ausbau von Dachböden
Bauen im Bestand ist klimapolitisch sinnvoll, weil keine oder vergleichsweise wenig Fläche neu versiegelt wird. Hinzu kommt: Etwa 40 Prozent aller Treibhausgase, die in Deutschland anfallen, entstehen beim Bauen, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Fuhrhop. Deshalb stehe der Neubau von jährlich hunderttausenden Wohnungen im Widerspruch zu den Klimaschutzzielen. Im Rohbau sei etwa die Hälfte der Herstellungsenergie enthalten und jede Menge CO2 gebunden, ergänzt Tim Driedger von Architects for Future. „Somit ist die Gesamtbilanz eines Neubaus selbst als Passivhaus deutlich schlechter als die Sanierung eines Bestandsgebäudes.“
Neben der Aufstockung und dem Umbau gibt es weitere Möglichkeiten, nicht nur ressourcenschonend, sondern oft auch vergleichsweise günstig Wohnraum zu schaffen: So lassen sich einige Häuser in mehr Wohneinheiten aufteilen, indem eine Einliegerwohnung abgetrennt wird. „Das Teilen ist meist problemlos möglich, wenn es mal zwei Wohnungen waren. Wir haben sehr viele ehemalige Zweifamilienhäuser, die nur noch als Einfamilienhaus genutzt werden“, sagt Günther. In anderen Häusern sei das allerdings schwierig, weil oft neue Ver- und Entsorgungsleitungen eingezogen werden müssten. Auch im Ausbau von Dachböden sieht er nur noch wenig Potenzial: „Da ist in den 1990er-Jahren schon viel passiert.“
Wohnraum teilen oder tauschen
Fuhrhop setzt auf die bessere Nutzung von „unsichtbaren Wohnraum“, also nicht benötigte Zimmer. In rund neun Millionen Wohnungen lebe auf mehr als 80 Quadratmetern Wohnfläche eine Person und auf über 100 Quadratmetern Wohnfläche ein Paar, erklärt er. Oft handele es sich um ältere Menschen. Denkbar wäre es, ungenutzte Zimmer unterzuvermieten – etwa an Studierende, die ihre Vermieterinnen und Vermieter im Alltag unterstützen. In Städten wie Brüssel sei dieses Wohnmodell sehr verbreitet, so Fuhrhop.
Eine Alternative zur Untervermietung wird darin gesehen, dass Alleinlebende und Paare ihre große Wohnung zum Beispiel mit einer Familie tauschen, die mehr Platz benötigt. Der Verband Wohnen im Eigentum (WiE) hat dazu seine Mitglieder befragt: Immerhin knapp ein Drittel der Antwortenden gab an, dass sie sich das vorstellen könnten. Allerdings stünden dem Tauschen viele Hindernisse wie der damit verbundene Aufwand und emotionale Motive entgegen, erläutert WiE-Präsident Peter Wegner. Der Verband geht deshalb von der vorsichtigen Annahme aus, dass rund eine Million Eigentümerinnen und Eigentümer in Deutschland Wohnraum zum Teilen oder für einen Tausch zur Verfügung stellen könnten.
Wohnungstausch scheitert oft am Vermieter
Dafür gibt es seit einigen Jahren Vermittlungsbörsen – zum Beispiel das Portal Tauschwohnung, das bundesweit tätig ist und mit einigen Kommunen oder Genossenschaften Kooperationen vereinbart hat. In den vergangenen zwei Jahren seien rund 5300 Haushalte vermittelt worden, berichtet Geschäftsführer John Weinert: „Aktuell sind es durchschnittlich drei Tauschpaare pro Tag – mit steigender Tendenz.“ Er ist davon überzeugt, dass noch viel häufiger getauscht würde, wenn das Angebot bekannter und die Bedingungen einfacher wären. Problematisch sei zum Beispiel, dass bei einem Mieterwechsel oft die Miete erhöht werde.
„In der Praxis scheitern Wohnungstauschvorgänge aus Sicht von Tauschwohnung oft an den Vermietern“, sagt Weinert. Dabei habe ein Wohnungstausch für sie viele Vorteile, weil sie keine Nachmieterinnen suchen müssen und keinen Mietausfall haben. Weinert regt an, dass ein gesetzliches Recht auf Wohnungstausch eingeführt wird. Außerdem sollte es vor allem für ältere Menschen Hilfsangebote wie Ansprechpartner vor Ort geben, um einen möglichen Tausch zu unterstützen.
Kommunen könnten Renovierungskosten übernehmen
Unterstützung fordert Wegner auch für vermietende Eigentümer und Eigentümerinnen: „Ihnen muss die Schaffung von Wohnraum im Bestand leichtgemacht werden. Das geht unserer Ansicht nach am besten in einem guten Zusammenspiel von Information, finanziellen Anreizen und rechtlichen sowie praktischen Erleichterungen.“ Konkret regt er Wohnberatungsstellen, steuerliche Anreize für Einliegerwohnungen sowie Förderungen insbesondere für barrierearme und altersgerechte Umbauten an. Um Bedenken etwa vor ausbleibenden Mietzahlungen zu nehmen, schlägt Fuhrop vor, dass Kommunen diese garantieren und bei Bedarf sogar Renovierungskosten übernehmen. Auf diese Weise könnte speziell für Menschen mit geringem Einkommen Wohnraum vermittelt werden.
Deutsche wünschen immer mehr Platz
Rund 60 Jahre ist es her, da lebten die Deutschen im Schnitt auf rund 20 Quadratmetern Wohnfläche pro Person. Heute sind es etwa 47 Quadratmeter. Anders ausgedrückt: Seither hat sich der Wohnraum mehr als verdoppelt. Der immer größere Flächenbedarf und die starke Zunahme insbesondere von Single-Haushalten erfordern einen großen Zuwachs an Wohnungen. Deutlich wird das etwa an Zahlen aus den Jahren 1995 bis 2020: In dieser Zeit wuchs die Bevölkerung hierzulande um 1,4 Millionen Menschen. Ausgehend von einem durchschnittlichen Zweifamilienhaushalt wären also rund 700.000 neue Wohnungen nötig gewesen. Tatsächlich wurden 6,8 Millionen Wohnungen neu gebaut – und trotzdem konnte vielerorts der Bedarf nicht gedeckt werden.
Neu gebaut werden sollte vor allem dort, wo viele ältere Menschen leben, sagt Günther: „Eine seniorengerechte Wohnanlage hat die Wirkung wie ein Einfamilienhausgebiet, nur mit deutlich weniger Grundstücksbedarf.“ Denn diejenigen, die bereit seien, in kleinere, altersgerechte Wohnungen umzuziehen, wünschten sich meist Angebote in der Nähe ihres derzeitigen Wohnorts, so der Experte. Als gutes Beispiel führt Fuhrop das Projekt Bremer Punkt an: Dort entstanden in einem Wohngebiet kompakte, nachhaltige Häuser vor allem für ältere Menschen. Rund 30 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner zogen aus der unmittelbaren Nachbarschaft dorthin und machten größere Wohnungen frei.
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Am Bedarf vorbei: In welchen Regionen zu viele, in welchen zu wenige Wohnungen gebaut werden
RND hier Johanna Apel 04.05.2024
Newsletter "Bauen und Wohnen": Wie wohnen wir in Zukunft?
Der Wohnungsbau steht vor großen Herausforderungen: Die Gesellschaft wird älter und schon jetzt fehlen barrierefreie Wohnungen. Es gibt aber Wege, um das Eigenheim fit fürs Alter zu machen. Das ist aber nicht das Einzige, wofür sich der Städtebau wappnen muss.
Knapp zwei Millionen altersgerechte Wohnungen fehlen in Deutschland. Das Pestel-Institut, das diese Zahlen ermittelt hat, spricht dabei sogar von „grauer Wohnungsnot“. Und in einer alternden Gesellschaft wie der unseren droht sich das Problem noch zu verschärfen. In diesem Newsletter schauen wir uns an, wie der Wohnungsbau dem demografischen Wandel begegnet – und wie man die eigene Wohnung fit fürs Alter machen kann. Wir werfen außerdem einen Blick auf den Klimawandel und wie sich Kommunen städtebaulich dafür wappnen.
Dass Deutschland dabei nicht gut aufgestellt ist, zeigen die Zahlen des Pestel-Instituts: Schon jetzt fehlen 2,2 Millionen Wohnungen, die für Seniorinnen und Senioren geeignet sind. Und weil die Babyboomer gerade erst anfangen in Rente zu gehen, droht sich die Lage weiter zu verschärfen. Künftig wird es immer mehr alte Menschen geben, die barrierefrei wohnen wollen und müssen. 2035 werden fast 28 Prozent der Bevölkerung älter als 65 sein. 2050, so schreibt das Bauministerium, wird wohl jeder Neunte älter als 80 Jahre alt sein.
Laut einer Studie fehlt es an 2,2 Millionen seniorengerechten Wohnungen.
Studie des Pestel-Instituts: Graue Wohnungsnot: Deutschland fehlen Millionen Unterkünfte für Senioren hier
Der Wohnungsbau muss das also in Angriff nehmen, allerdings sieht Bauministerin Klara Geywitz ihn derzeit noch „überhaupt nicht“ auf den demografischen Wandel vorbereitet. „Die Themen Barrierefreiheit und altersgerechter Umbau stecken noch in den Kinderschuhen“, sagte sie kürzlich im RND-Interview. Zwar seien die Mittel für den altersgerechten Umbau schon aufgestockt worden. In den kommenden Jahren müssten aber Milliarden investiert werden.
Hier gibt es Zuschüsse
Abgesehen davon, dass es dafür auch neue Wohnungen braucht, ist vielen Menschen aber wichtig, in den eigenen vier Wänden alt werden zu können. Dafür müssen etliche Wohnungen aber erst fit gemacht werden. Nötig sind beispielsweise Rampen, Treppenlifte oder eine neue Aufteilung der Räume.
Wenn auch Sie so etwas vorhaben, sollten Sie das bundesweite KfW-Programm 455-B zur Barrierereduzierung kennen. Über diese staatliche Förderung können Sie sich Zuschüsse für den Umbau sichern. Nach einem Förderstopp im Zuge der Haushaltskrise ist es jetzt wieder möglich, Anträge zu stellen. Insgesamt stehen 150 Millionen Euro bereit.
Möglich sind zwei Optionen: Gefördert werden einerseits sogenannte Einzelmaßnahmen, beispielsweise der Einbau einer bodengleichen Dusche. Andererseits wird der Umbau zum Standard „Altersgerechtes Haus“ gefördert. Für die einzelnen Maßnahmen sind Zuschüsse in Höhe von 10 Prozent der förderfähigen Kosten möglich – maximal aber 2500 Euro. Für den Umbau zum Standard „Altersgerechtes Haus“ können 12,5 Prozent der förderfähigen Kosten – maximal 6250 Euro – erstattet werden.
Kommunen sollen sich für Hitze fit machen
Die alternde Gesellschaft ist aber nicht die einzige Herausforderung, die auf den Wohnungsbau zurollt. Städte und Gemeinden müssen auch Wege finden, um sich gegen Hitze und lange Trockenperioden ebenso aufzustellen wie für starke Regenfälle. Der Klimawandel hat die Stadtplanung erreicht und die Sorge um Ökosysteme hat Kommunen im vergangenen Sommer wieder dazu veranlasst, die Wasserentnahme einzuschränken.
Andere setzen beispielsweise auf mehr Stadtgrün, damit Wasser gut versickern kann, Insekten und andere Tiere ein Refugium haben, und Menschen mehr schattige Plätze nutzen können. Längst ist das Grün auch schon auf vielen Dächern zu sehen.
Doch wie beim demografischen Wandel auch: Noch sieht die Bundesregierung die Kommunen nicht ausreichend aufgestellt für Extremwetterereignisse. Im vergangenen Sommer sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke, dass auf lokaler Eben noch nicht ausreichend Klimaanpassungskonzepte vorhanden seien. In diesem Zuge hat der Bundestag ein paar Monate später das Klimaanpassungsgesetz verabschiedet. Damit sollen Städte und Gemeinden besser auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereitet sein.
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