Freitag, 7. Mai 2021

Brief vom Aktionsbündnis Grünzug Salem

Sehr geehrte Gemeinderätinnen,
sehr geehrte Gemeinderäte,
sehr geehrter Herr Bürgermeister,


in den vergangenen Wochen und Monaten wurde viel und heftig über die zukünftige Entwicklung der Gewerbeflächen in Salem diskutiert.
Dabei hat sich eine deutliche Mehrheit des Gemeinderates gegen einen Schwerpunkt für Industrie und Gewerbe (I&G), für den bisherigen Standort im Gewerbegebiet in Neufrach, für den Erhalt des Grünzugs sowie für eine Ansiedlung von lokalem Gewerbe entsprechend einem nachvollziehbaren Bedarf ausgesprochen.
Angesicht der immer knapper werdenden nutzbaren Flächen im Spannungsfeld von Natur, Klima, Landwirtschaft und wirtschaftlicher Entwicklung ist es nur konsequent, dass eine schrittweise Minimierung der Flächeninanspruchnahme für Industrie und Gewerbe , Verkehr und Wohnungsbau erfolgen muss. Diese Entwicklung führt hin zu einer Kreislaufwirtschaft in 2050. Das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofes hat gezeigt, dass Klimaschutz und Flächensparen keine leeren Bekenntnisse bleiben dürfen, sondern genau aufzuzeigen ist, wie die nachfolgenden Generationen entlastet werden können. Im Folgenden wollen wir zeigen wie unseres Erachtens ein sinnvoller Flächenverbrauch ermittelt werden kann und zu welchen Konsequenzen das für Industrie und
Gewerbe in Salem führt.


Die Bemühungen Deutschlands zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens schlagen sich im
Klimaschutzgesetz und im Klimaschutzplan2050 nieder.
Zum Flächenverbrauch äußert sich der Klimaschutzplan wie folgt:
Der Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche (Flächenverbrauch) soll im Einklang mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag reduziert und danach weiter gesenkt werden, so dass spätestens bis zum Jahr 2050 der Übergang zur Flächenkreislaufwirtschaft erreicht ist und - in Übereinstimmung mit dem „Fahrplan für ein ressourceneffizientes Europa“ der EU - „nettonull“ beträgt.


Baden-Württemberg leistet für diese Ziele seinen Beitrag im Verhältnis seiner Fläche zur Gesamtfläche Deutschlands mit daraus resultierenden 3 ha/Tag, die allerdings bereits 2020 nicht ganz erreicht wurden.
Wenn wir den Flächenansatz entsprechend auf Salem anwenden und dabei annehmen, dass der
Flächenverbrauch bis 2050 stetig bis auf null abfällt, lässt sich daraus der zulässige Flächenverbrauch zwischen 2020 und 2035 berechnen. Das wären 21,6 ha.

Für die folgenden 15 Jahre bis 2050 stände noch einmal eine Fläche von 7 ha zur Verfügung. Es lässt sich über diesen Ansatz streiten, zumal weder der Bund noch das Land konkrete Zwischenziele definiert haben, aber sicher ist, dass wenn nicht jetzt mit Flächeneinsparungen begonnen wird, künftige Generationen umso größere Lasten zu tragen haben.
 

Genau das hat das Bundesverfassungsgericht letzte Woche in seinem Urteil zum Klimaschutzgesetz angemahnt und die Politik zu Nachbesserungen aufgefordert.
Nach dem jüngsten BGH-Urteil ist ein solches Vorgehen und damit auch der Regionalplan in seinem jetzigen Entwurf einklagbar.
 

21,6 ha entsprechen dem maximalen Flächenverbrauch an Siedlungs- und Verkehrsflächen in Salem. Wenn davon für Verkehrsflächen (Radwege, etc.) 10% und für Erholung, Freizeit, Sport etwa 5% entfallen, bleiben vom Rest etwa 2/3 für Wohnsiedlung also 12,2 ha und 1/3 für Gewerbe also 6,1 ha.
Diese 6,1 ha erscheinen erschreckend wenig im Vergleich zu den großzügigen  Flächeninanspruchnahmen der vergangenen 10- 20 Jahre als auch gegenüber den 27,1 ha laut Regionalplan. Der Regionalplan geht aber von einem überproportional hohen Zuschlag für den Schwerpunkt für Industrie und Gewerbe aus.

 

Mit dem GR-Beschluss vom 23.2.2021 hat sich Salem aber für ein „lokales Gewerbegebiet “ und gegen ein Schwerpunktgebiet für Industrie und Gewerbe entschieden. Damit ändert sich die Grundlage für die bisherige Flächenberechnung des Regionalplans gravierend. Beschränkt man sich nämlich auf die lokalen Salemer Bedarfe, ergibt die Berechnung analog dem im Acocella Gutachten des RVBO beschriebenen GIFPRO Verfahren anhand der sozialversicherungspflichtigen Einwohner eine erheblich reduzierte Flächeneinschätzung der bis 2035 als notwendig angesehenen Gewerbeflächen.
Das GIFPRO Standard Verfahren liefert eine Netto-Bedarfsfläche von 9,2 ha bis 2035

Dieser Wert dürfte auch für die Bruttofläche gelten, weil die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten mangels entsprechender Informationen in unserer Annahme zu hoch gegriffen ist. Für Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes z.B. müssen keine Gewerbeflächen zur Verfügung gestellt werden. Außerdem werden durch Verlagerung freigewordene Flächen in dem Berechnungsverfahren nicht berücksichtigt. Diese können jedoch gerade bei der Verlagerung von lokalem Gewerbe erheblich sein.
Das genauere GIFPRO Vallee Verfahren liefert eine Netto-Bedarfsfläche von 7,2 ha.
Für den Bruttowert gilt das gleiche wie für das Ergebnis des GIFPRO Standard Verfahrens. Details zur Berechnung finden sich im Anhang.
Die Ergebnisse nach den beiden GIFPRO Verfahren liegen nicht weit auseinander. Mit etwa 8 ha Bedarf liegen die auf industriellen Erfahrungswerten basierenden Verfahren nicht allzu weit vom Flächensparziel von Bund und Land entfernt 

Hinzu kommen in Zukunft noch gewerbeflächensparende Effekte wie:
- Einsparung von Büroflächen durch vermehrtes Homeoffice
- Verbessertes betriebliches Mobilitätsmanagement mit damit verbundener Reduktion von
Parkflächen
- Digitalisierung löst Hardwareanwendungen ab und reduziert Arbeitsraum
- Dezentralisierung der Produktion durch Ausbreitung des 3D-Drucks
 

Zusammen mit der konsequenten Anwendung der bauplanerischen Vorgaben könnten die benötigten Gewerbeflächen der nächsten 15 Jahre mit den heute zur Verfügung stehenden freien Flächen bedient werden. Eine grobe Recherche unsererseits zeigt allein im erschlossenen Bereich des Gewerbegebiets eine Gesamtfläche von etwa 6 ha. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob diese Grundstücke in Gemeindehand sind oder nicht. Das neue Gewerbegebiet in Überlingen entstand auf einer Reservefläche der Firma Diehl, die von der Stadt zurückgekauft wurde.


Wenn wir die Ankündigungen des erneuerten Koalitionsvertrags der Regierungsparteien Baden-
Württembergs ernst nehmen, dann sind möglicherweise selbst die hier vorgelegten Zahlen zum zulässigen Flächenverbrauch Makulatur und müssen weiter reduziert werden. Der Vertrag spricht von einem Flächensparziel von 2,5 ha/Tag und von einem netto null Verbrauch bereits im Jahr 2035.
Um dieses Ziel zu erreichen sollen den Kommunen effektive Instrumente für den sparsamen Umgang mit Flächen in die Hand gegeben werden.
Eine Auswahl dieser Instrumente zeigt der Anhang 2. So könnte auch der Flächenzertifikatehandel wieder eine Rolle spielen, der den Flächenverbrauch unter den Kommunen so regelt, dass Kommunen, die zu viele Flächen beanspruchen, diese über teure Zertifikate beschaffen müssen.


Das Aktionsbündnis Grünzug Salem befürwortet eine Weiterentwicklung Salems für nachfolgende Generationen. Unsere Recherchen zu Freiflächen, unsere Berechnungen zu den von Bund und Land vorgegebenen Flächeninanspruchnahmen und auch unsere Vorschläge, sich einem modernen Flächenmanagement zu öffnen, sollen die diesbezügliche Diskussion konkretisieren.
Im Spannungsfeld aller Nutzungsformen sollte die Bedeutung eines gesunden Bodens oberste Priorität für die CO2-Speicherung, für die Abpufferung von Wetterextremen (Hitze und Niederschlag) und nicht zuletzt für die regionale Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln haben. Nach vielen Jahren sorgloser Flächenversiegelung muss ein intelligentes Flächenmanagement, ein Weg zur
Flächenkreislaufwirtschaft hin bis zum Ansatz des „cradle to cradle“ stattfinden. Dies ist keine Utopie, dies ist unmittelbare Notwendigkeit und in manchen Gemeinden schon Realität.


hier kann der ganze Brief heruntergeladen werden

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