Dienstag, 5. April 2022

Weltklimarat IPCC: Jetzt oder nie handeln

Riffreporter  hier  von 

„Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Wir können die Emissionen bis 2030 halbieren.“ Das ist die Kernbotschaft des heute veröffentlichten Weltklimaberichts.

Zur Vorstellung des jüngsten Weltklimaberichts resümiert Hoesung Lee: „Wir befinden uns an einem Scheideweg.“ Der Vorsitzende des Weltklimarats IPCC mahnt: „Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sichern.

 Der Energie- und Umweltexperte Priyadarshi Shukla, Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe III, betont: „Die richtigen politischen Maßnahmen, Infrastrukturen und Technologien vorausgesetzt, lassen sich Lebensstil und Verhalten so ändern, dass die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 40 bis 70 Prozent gesenkt werden können.“

Erstmals befasst sich der Weltklimabericht mit der Frage, wie in die nötigen Investitionen finanziert werden sollen. Aktuell lägen die Investitionen noch um das Drei- bis Sechsfache unter dem Niveau, das bis 2030 nötig ist, um die Erwärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Weltweit sei genügend Kapital und Liquidität vorhanden, um die Investitionslücken zu schließen. Hierfür müsse es jedoch von der Politik klare Signale geben.

Potenziale im Energiesektor, in den Städten, der Industrie und in der Agrar- und Forstwirtschaft

Die Nutzung fossiler Brennstoffe müsse dem Bericht zufolge im Energiesektor „erheblich“ verringert und die Elektrifizierung vorangetrieben werden. Alternative Brennstoffe wie Wasserstoff müssten genutzt werden. An den Kosten wird die Energiewende nicht scheitern: Seit 2010 sind weltweit die Kosten für Solar- und Windenergie sowie für Batterien um bis zu 85 Prozent gesunken. „Das ist besser als Experten erwartet haben“, sagt Jan Christoph Minx vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin.

Der Bericht sieht im urbanen Raum erhebliche Potenziale, um Emissionen zu reduzieren. So könnten Städte kompakt und begehbar gestaltet werden, der Verkehr elektrifiziert und mit naturbasierten Lösungen die Aufnahme und Speicherung von CO2 erreicht werden.
„In fast allen Klimazonen sehen wir Beispiele für Gebäude mit Null-Energie-Verbrauch sowie Null-CO2-Emissionen, sagt Jim Skea, Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe III. 
Noch in diesem Jahrzehnt müssten Maßnahmen eingeleitet, um Gebäude klimafreundlich zu gestalten. Wärmepumpen seien Teil der Lösung, sagt Felix Creutzig vom MCC.

In der Industrie geht es dem Bericht nach darum, Materialien effizienter zu nutzen, Produkte wiederzuverwenden und aufzubereiten. Abfälle müssten minimiert werden. Für Grundstoffe wie Stahl, Baumaterialien und Chemikalien gebe es klimafreundliche Produktionsverfahren, die sich im Pilotstadium, aber auch bereits in der kommerziellen Anwendung befinden. 

Land- und Forstwirtschaft sowie andere Landnutzungen können CO2 in großem Umfang abscheiden und speichern. Wichtig seien naturbasierte Anpassungsmaßnahmen, die die Lebensgrundlagen für Menschen, Tiere und Pflanzen sicherten.

„Viele Regierungen kämpfen mit der Frage, ob die Menschen diese Veränderungen unterstützen würden“, so IPCC-Leitautorin Linda Steg von der Universität Groningen und weist darauf hin, dass die Akzeptanz höher sei, „wenn Kosten und Nutzen gerecht verteilt sind und wenn faire und transparente Entscheidungsverfahren befolgt wurden.“

Kritik an Kompensationen für Klimaneutralität

Der Sachstandbericht hält fest, dass „das Land“ keine verzögerten Emissionsreduzierungen in anderen Sektoren kompensieren kann. Er nimmt damit die in den letzten Jahren in Mode gekommenen Kompensationsgeschäften für Emissionen ins Visier. So kauft man etwa CO2-Zertifikate für Waldflächen, um damit eigene Emissionen zu „neutralisieren“. Üblich ist das, um die Emissionen von Flugreisen zu kompensieren, aber auch um die CO2-Bilanz eines Unternehmens zu schönen.

Oliver Geden vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP) sagt dazu: „Das ist ein Warnschild, dass diese Potenziale nicht wie bisher genutzt werden dürfen, indem man eigene Emissionen woanders auf der Welt durch das Wachstum der Bäume wieder ausgleichen möchte.“ Dies sei „eine nicht mehr implizite Kritik an der Praxis, dass viele Unternehmen bis übermorgen klimaneutral sein wollen, aber nicht ihre eigenen Emissionen reduzieren.“ Geden stellt klar: „Die Emissionen müssen genuin reduziert werden.“ 

Unternehmen können sich demnach nicht mehr über Kompensationen klimaneutral rechnen, sondern müssen ihre Wertschöpfungsprozesse klimaneutral gestalten.

Maßnahmen nachschärfen für das 1,5-Grad-Ziel

„Ohne sofortige und tiefgreifende Emissionssenkungen in allen Sektoren ist die globale Erwärmung nicht mehr auf 1,5°C zu begrenzen“, warnt der jüngste Weltklimabericht.
Mit Blick auf die aktuellen Emissionswerte und die aktuellen Selbstverpflichtungen der Nationalstaaten (NDCs) sei es jedoch „fast unvermeidlich“, dass die kritische Temperaturschwelle von 1,5 Grad vorübergehend überschritten, aber gegen Ende des Jahrhunderts wieder unterschritten werde.

Dies setzt voraus, dass die CO2-Emissionen noch vor 2025 ihren Höhepunkt erreichen und bis 2030 um 43 Prozent gesenkt sowie der Ausstoß von Methan um ein Drittel reduziert wird.
„Die gegenwärtigen Politikmaßnahmen müssen nachgeschärft werden, um die gegenwärtigen 
NDCs bis 2030 zu erreichen. Aber auch die NDCs selbst müssten nochmal nachgeschärft werden“, erklärt der Klimaforscher Volker Krey vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Österreich.Für Jim Skea steht fest: „Wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen wollen, heißt es: jetzt oder nie.“ Er warnt: „Ohne sofortige und tiefgreifende Emissionssenkungen in allen Sektoren wird dies unmöglich sein.“ Die globale Temperatur werde sich stabilisieren, wenn die CO2-Emissionen Anfang der 2050er Jahre Netto-Null erreichen. Soll die Erwärmung auf 2 Grad begrenzt werden, müssen die Treibhausgasemissionen ebenfalls vor 2025 sinken und bis 2030 um ein Viertel reduziert werden.

Bericht fokussiert auf 2030

Der Bericht der Arbeitsgruppe III des Weltklimarats IPCC befasst sich mit der Frage, mit welchen Methoden bis 2030 die Emissionen halbiert werden können. Damit rückt das Jahr 2030 in den Mittelpunkt der Klimapolitik – wie bereits im Sachstandbericht der Arbeitsgruppe II, der im Februar veröffentlicht wurde. Der Bericht wurde heute von den 195 Regierungen, die Mitglied des IPCC sind, einstimmig angenommen. Er ist Teil des 6. Sachstandberichts des Weltklimarats, der in diesem Jahr noch fertig gestellt werden soll.

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