Samstag, 2. April 2022

Bodenseekreis: Neue Wege für Bauen und Wohnen

27.02.2022  |  VON FABIANE WIELAND FABIANE.WIELAND@SUEDKURIER.DE  hier

Neue Wege für Bauen und Wohnen

Wie wollen wir in Zukunft wohnen? ....

„Der angespannte Wohnungsmarkt beschäftigt uns Architekten und Stadtplaner auf allen Ebenen“, sagt Markus Müller. Die Architektenkammer sei daher in verschiedene Projekte involviert, um die Komplexität zu beschreiben und Lösungsansätze zu bieten. Im Fokus stünden nicht allein die Städte. „Auch eine Region wie der Bodenseekreis ist wirtschaftlich unglaublich stark, mit einer hohen Wertschöpfung und hohen Durchschnittseinkommen. Andere Regionen würden sich das wünschen, doch es ergeben sich auch Probleme daraus“,....
„Wer an der Wertschöpfung nicht teilhaben kann, hat auf dem Wohnungsmarkt immer größere Probleme“, sagt Müller. Das betreffe nicht mehr nur Randgruppen, sondern sei längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Hinzu komme das Thema Flächenverbrauch. „Wir kommen nicht nur beim Wohnen an die Grenzen von Flächenverfügbarkeiten, das betrifft auch das Gewerbe, die Landwirtschaft oder zeigt sich auch bei der Suche nach möglichen Straßenkorridoren“, sagt Markus Müller. Das Bewusstsein für die Themen Natur und Umwelt sei geschärft, über vieles werde heute anders gedacht als noch vor 50 Jahren.

Architekten und Stadtplaner würden sich inzwischen intensiv mit der Frage beschäftigen, wo sich Menschen eigentlich wohlfühlen. Zwei spannende Ergebnisse aus Studien seien dabei: „Zum einen fühlen sie sich dort wohl, wo sie schnell in der Natur sind. Das haben wir hier im Grunde in allen Gemeinden“, sagt Müller. Ein weiterer Faktor sei aber auch eine große Dichte, „wie wir sie beispielsweise in der Ravensburger Altstadt haben“.

Unter zeitgemäßen Formen des Wohnens und Zusammenlebens versteht Müller innerörtlich komprimierte Wohnformen und nachbarschaftliches Wohnen. „Angesichts des demografischen Wandels versuchen wir heute mehr denn je Siedlungen im Quartiersbau zu planen – mit unterschiedlichen Altersstrukturen, mit verschiedenen Wohnformen, dem Mix aus Gewerbe, Arbeit und Wohnen.“ Dort würde man nicht nur eine Wohnung beziehen, sondern habe durch die vorhandene Infrastruktur in einem Quartier gleich ein soziales Netz und niedrigschwellige Nahversorgungsangebote.

Solche Stadtquartiere auf Brachflächen in Innenstädten zu entwickeln, sei für Kommunen eine Herausforderung, aber auch eine große Chance. Doch gibt es solche Flächen in Städten und Gemeinden überhaupt noch? Ja, glaubt Markus Müller, auch in der Bodenseeregion. Eine Fläche, die etwa für die städtebauliche Entwicklung in Friedrichshafen ein Riesengewinn wäre, sei sicherlich der Hintere Hafen. „Wo man fassungslos ist, dass so ein qualitativ hochwertiges Gebiet seit Jahren als Brache daliegt“, so Müller.

Das Einfamilienhaus als Wohnmodell sei nach wie vor für manche Bewohner geeignet – zum Beispiel für Familien. Mit dem Bau immer neuer Einfamilienhäuser könne man die Wohnungsnot aber sicher nicht lösen, betont der Präsident der Architektenkammer. „Die Diskussionen drehen sich oftmals darum, dass wir vor allem für Familien mit Kindern bauen müssen. Alle anderen hätten ja bereits geeigneten Wohnraum, so eine gängige Annahme.“ Das sieht Markus Müller anders. Inzwischen betrage der Anteil der Haushalte mit lediglich ein oder zwei Personen – auch hier in der Region – schon zwischen 75 und 80 Prozent. Für diese Entwicklung brauche es angepasste Wohnformen. „Wenn früher eine neue Wohnsiedlung erschlossen wurde, sind dort meist Familien hingezogen, die alle in einem ähnlichen Alter waren. Diese sind dann homogen gealtert, die Kinder nach und nach ausgezogen, die Eltern hingegen im Haus wohnen geblieben“, sagt der Architekt. Genau hier könne man ansetzen und Bewegung in den Wohnungsmarkt bringen.

Denn gerade auch für ältere Menschen sei das Leben in der Ortsmitte mit kurzen Wegen und sozialem Anschluss oftmals attraktiv. „Es geht also vor allem darum, wie wir es schaffen, den unterschiedlichen Lebensphasen gerecht zu werden“, so Müller. Wichtig sei, dass es ausreichend Angebote in solchen Stadtquartieren gibt und die Projekte vor allem auch bezahlbar umgesetzt werden können.

.... „Wenn wir also über die Bezahlbarkeit von Wohnraum, über Klimaschutz, sozialen Wandel und viele weitere Fragen unserer Zeit reden, dann liegen die Vorteile solcher Konzepte auf der Hand.“

Hoher Wohnkomfort sei auch auf einer geringeren Gesamtfläche möglich, sagt Markus Müller und verweist auf den „Sharing-Gedanken“. Die gemeinsame Nutzung könne beim Auto anfangen und bei der Heizung aufhören. „Interessante Projekte gibt es etwa auch bei der Nutzung von Gemeinschaftsflächen. Welcher Raum wie viel oder wie intensiv genutzt wird, ist sehr unterschiedlich.“ Auch daraus könnten Ansätze für ein nachbarschaftsorientiertes Wohnen entstehen – „der Fantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt“.

...  „Wir dürfen dabei auch nicht Klimaschutz gegen Wohnungsnot ausspielen, wir müssen vieles abwägen und die Menschen bei den Prozessen mitnehmen.“ .....

Markus Müller , Jahrgang 1965, ist seit den 1990er Jahren als Architekt und freier Stadtplaner tätig. Er studierte an der Universität Stuttgart und ist heute Gesellschafter bei Müller, Arndt und Partner mit Büros in Meckenbeuren und Stuttgart. Seit 2002 engagiert er sich in der Architektenkammer Baden-Württemberg und ist seit 2014 Präsident.

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