Dienstag, 17. Oktober 2023

Initiative Bodensee S-Bahn: Die Landkreise sind nicht für den SPNV zuständig

 Die Initiative Bodensee-S-Bahn sieht ebenfalls das Land im Zugzwang und nennt 8 Gründe dafür.

Ralf  Derwing, info@bodensee-s-bahn.org,www.bodensee-s-bahn.org

Medienmitteilung an Schwäbische Zeitung und Südkurier vom 05. September 2023

Die folgende Stellungnahme stellt eine Reaktion auf die regionale Berichterstattung in der Schwäbischen Zeitung (z.B. 01.09.23, 02.09.23) und dem Südkurier (z.B. 04.09.23) zum Ausbau der Bodenseegürtelbahn dar. In den entsprechenden Artikeln kommt Verkehrsminister Hermann ausführlich zur Wort mit dem Vorhaben, die beiden Landkreise KN und FN sehr umfangreich an den Kosten des Ausbaus der Bodenseegürtelbahn zwischen Radolfzell und Friedrichshafen zu beteiligen. 

Diese politische Haltung des Landes Baden-Württemberg ist aus Sicht der IBSB verkehrspolitisch problematisch: Sie ist ein Grund für die jahrelange Verzögerung bei vielen Vorhaben im Bereich Bahnausbau und stellt eine Bedrohung für einen bestimmt kostenträchtigen, aber sinnvollen Ausbau von Bahnstrecken dar.

Wir stellen acht Gründe vor, die aus unserer Sicht gegen die übermäßige finanzielle Beteiligung der beiden Landkreise an Planung und Umsetzung von Ausbauten bei der Bodenseegürtelbahn sprechen. Die Gründe 1-5 beziehen sich allgemein auf die SPNV-Politik des Landes BW, die Gründe 6-8 betreffen speziell die Bodenseegürtelbahn.

1. Für den SPNV (Schienenpersonennahverkehr) ist gesetzlich das Land Baden-Württemberg zuständig und nicht die Landkreise. Laut Formulierung im ÖPNV-Gesetz, §6 (2) des Landes BW ist das Land als Träger der Aufgabe zur Bereitstellung des SPNV bestimmt. In §1 des Gesetz steht: „Zur Erreichung dieser Ziele sollen grundsätzlich die zuständigen Aufgabenträger auch die Ausgabenverant-wortung tragen.“ Das ist eindeutig, zumal auch noch explizit das Eisenbahnnetz erwähnt wird.

2. Das Land Baden-Württemberg investiert kaum eigene Mittel in den Bahnausbau. Jedes Bundesland erhält von der Bundesebene Regionalisierungsmittel zur Finanzierung der Länderaufgabe SPNV und investiert zusätzlich eigene Mittel. Hier ist das Engagement des Landes unterdurchschnittlich: Würde Baden-Württemberg, wie viele andere Bundesländer, mindestens die gleiche Summe zusätzlich investieren, stünden auf einen Schlag über 500 Mio. € pro Jahr (!) mehr für den ÖPNV zur Verfügung. Mit diesem Betrag könnte man nicht nur den Ausbau der Bodenseegürtelbahn umgehend veranlassen.

3. Die Finanzkraft der Kommunen darf kein entscheidendes Kriterium beim Ausbau von Eisen-bahninfrastruktur sein. In der Konsequenz hätte ein solches Vorgehen zur Folge, dass in finanzschwa-chen Landkreisen kein Ausbau von Bahninfrastruktur stattfinden kann. Dies wäre hochproblematisch, da die Lage und Bedeutung der Bahnlinien wenig mit der Finanzkraft der einzelnen Landkreise zu tun hat. Anders als Kreisstraßen enden Bahnstrecken nicht an der Kreisgrenze. Aufgrund des über die Gürtelbahn verkehrenden IRE3 hat der Ausbau der Gürtelbahn direkte Auswirkungen auf den Bahnver-kehr in den Landkreisen Lörrach, Hochrhein, Konstanz, Bodensee, Ravensburg, Biberach, Alb-Donau und Ulm.

4. Fatale Dynamik in Richtung Minimalausbau: Durch die überzogenen finanziellen Forderungen des Landes BW an die Landkreise entsteht bei den Landkreisen eine Motivation, den Ausbau auf das absolut Notwendige zu beschränken, da sonst die schon hohen eigenen Kostenanteile noch weiter steigen würden. Dieser falsche Sparanreiz gefährdet die Qualität des Ausbaus in hohem Maße und würde zu teuren Folgeinvestitionen führen. Man kann einen solchen Prozess am Minimalausbau der Allgäubahn nachvollziehen, wo es sogar zu einer Einstellung von SPNV-Angeboten in BW kommen musste und nun teure und zeitintensive Nachrüstungen notwendig sind.

5. Die Delegation der Verantwortung auf die Landkreise erhöht auch stark die politischen Kosten und sorgt für enorme Zeitverluste. Die Anzahl der beteiligten Akteure wird stark erhöht, was dazu führt, dass auf viel mehr Befindlichkeiten und Interessen Rücksicht genommen werden muss. Dadurch entstehen auf den Ebenen des Regionalverbandes und der Landkreise viele Anlässe zu Diskussionen, was enorm viel Zeit und politisches Kapital kostet.

6. Nicht zeitgemäße Planungsvorgaben der NVBW: Durch das lange Beharren des Landes BW bzw. der zuständigen NVBW auf die Planung von vielen Versionen der so genannten Referenzvariante war ein Großteil der diesbezüglichen Planungen zum Ausbau der Gürtelbahn umsonst. Dass sich jede Version der Referenzvariante angesichts der Verkehrsanforderungen der Jahre 2030+ als nicht ausreichend erwiesen hat, war bereits im Voraus absehbar. Für dieses Ergebnis sollten nicht die Landkreise zahlen müssen.

7. Die beiden Landkreise FN und KN sind bereits sehr stark im SPNV engagiert. Dass das Land BW nun ausgerechnet diese beiden Landkreise zu mehr finanziellem SPNV-Engagement motivieren will, mutet kurios an: Beide Landkreise haben wesentlich dazu beigetragen, dass es vor Ort erfolgreiche SPNV-Produkte wie die BOB, das Seehäsle und den Seehas gibt, und damit bereits Aufgaben des Landes übernommen und finanziert.

8. Tendenzielle Vernachlässigung der Bodenseeregion beim SPNV: Beide Landkreise haben trotz ihres hohen eigenen Engagements kein überdurchschnittliches, vernetztes SPNV-Angebot, im Gegenteil: Der Landkreis Konstanz hat zu drei seiner vier deutschen Nachbarlandkreise überhaupt keine SPNV-Verbindung, der Seehas stoppt in Engen. Auf der Südbahn sind, anders als im Rest des Landes, keine modernen landeseigenen Fahrzeuge unterwegs, sondern vor allem DB-Gebrauchtfahrzeuge, die andernorts ausgemustert wurden.

Zusammenfassend ist aus Sicht der IBSB eine viel größeres Engagement des Landes Baden-Württemberg beim Ausbau der Bahninfrastruktur zu erwarten. Dies würde keinesfalls eine „Lex Bodenseegürtelbahn“ bedeuten – auch bei anderen Bahnprojekten muss sich das Land stärker finanziell engagieren. In anderen Bundesländern geschieht dies. Die Landesregierung würde mit einer wesentli-chen Übernahme der Kosten die eigene Verantwortung wahrnehmen und ihre Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Umsetzung der Verkehrsziele 2030+ weiter stärken.

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